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Artikel 1, 10.08.2001, Rita E. Michlits

Rosa Zettel, Cocktails und die Suche nach Gurus

Auf den ersten Pink Slip Partys feierten amerikanische Dotcom-Mitarbeiter ihre Kündigung. Mit kalten Drinks in der Rechten hielten sie Ausschau nach einer heißen Chance. Der heimische IT-Markt hat die Idee aufgegriffen.
Gabriele Lehner, Plaut Personalberatung“, stellt sich die Geschäftsführerin der Plaut Personalberatung beim Eingang zum Wiener Semperdepot höflich vor. Seit dem Management-Buyout Anfang des Jahres gehört das Unternehmen ihr. „Suchen Sie einen Job?“, fragt die Studentin auf der anderen Seite des Registriertisches ungerührt zurück.
Offensichtlich ist sie wenig vertraut mit den Akteuren am Arbeitsmarkt. Andererseits: Dass die frischgebackene Plaut-Chefin für neue Aufgaben wenig Kopf hat, kann sie ja nicht wissen. Die anderen Gäste übrigens auch nicht, denn auf Lehners weißem Zettel, den die Assistentin nun für sie beschriftet, steht nur ihr Name und ihre Firma. „Wir treten als Sponsoren auf“, erklärt sie die Rolle, die sie heute Abend inne hat. Der Ort der Handlung unterscheidet sich deutlich von jenen, die ihre Headhunter gemeinhin für Bewerbungsgespräche auswählen. Der Backsteinbau in Wien Mariahilf eignet sich eher als Rahmen für ein Clubbing denn als Dependance des Arbeitsamtes. Das Publikum (obzwar vorrangig in dezentes Grau und Schwarz gehüllt) könnte auch zum Tanzen gekommen sein. An den Bars gibt es weiße Spritzer und Antialkoholisches. Ein Drink geht auf Kosten des Hauses: Angeblich „reinigt Kombucha (ein Teepilz-Getränk, das ursprünglich aus Südrussland stammt) Körper und Seele“. Wer sich anpreisen soll braucht Kraft und Selbstbewusstsein.

Gekündigt, na und?

Ein Farbleitsystem dient dazu, die Anwesenden zu kategorisieren. Weiß bedeutet: Ich suche Fachleute. Hellrosa kriegen neutrale Beobachter oder Unentschlossene angesteckt. Rosa Rechtecke zieren schließlich die Dekolletee und Revers der Hauptpersonen dieses Spiels. Rosa Zettel deshalb, weil Kündigungsschreiben in der Neuen Welt in rosa Umschlägen stecken. Die Idee kommt also wie immer aus den Staaten und steht im Zusammenhang mit der Krise der Dotcom-Branche. Auf den ersten Pink Slip Partys im Sommer 2000 feierten Internet-Pioniere ihre neu gewonnene (wenn auch ungewollte) Freiheit. Fallen Aktienkurse, kommen auch virtuelle Firmen ohne reale Mitarbeiter aus. Amerikaner sehen die Welt aber bekanntlich positiv. Kein Verlust ohne Gewinn, sagen sie sich und halten auf diesen lockeren Zusammenkünften gleich Ausschau nach neuen Perspektiven.
Natascha Rubia von joy communications hat diesen Ansatz für den österreichischen Markt adaptiert und ausgebaut. Nicht nur Netz-Experten tummeln sich auf ihrer Party, sondern der ganze bunt gemischte Informationstechnologie-Sektor.
Am 27. Juni 2001, dem zweiten Termin, an dem sich der Nachwuchs seinen „alten Job an den Hut und den Pink Slip an den Anzug stecken soll“, so Rubias Leitspruch, sind Größen der IT-Branche wie etwa Microsoft, EMC2 oder SAS vertreten. Manpower, der Experte in Sachen Zeitarbeit, und das Karriereportal jobscout24.com treten ebenfalls als Partner auf.
Auf Grund der starken Nachfrage suchen Unternehmen und Personalberater nun auch auf alternativen Wegen nach qualifizierten Mitarbeitern.
Kaum ein Tag, an dem Wifo, Industriellenvereinigung oder andere Statistik-Berufene nicht darauf verweisen, wie viel Geld der Wirtschaft entgeht, wenn wir sie nicht haben: Die IT-Spezialisten. Dass diese Spezies meist als Einheit gesehen wird, beruht wohl auf dem Prinzip „Keep it simple“.

Wer sucht wen?

Die Computerwelt-Redaktion sucht nach einer exakteren Erklärung und befragt einen, der es wissen muss. „IT-Spezialisten sind Programmierer“, meint ein junger Mann, der sich dieses Profil auf seine Erkennungsmarke schreiben ließ. „Und natürlich auch Architects, die die Lösungen entwickeln“, ergänzt Eva Heinetzberger, die hier für den Riesen Siemens rekrutiert. Schwerpunktmäßig suche der Konzern im Telekommunikationsbereich und in der Softwareentwicklung. „Insgesamt stehen zur Zeit etwa 200 Jobs offen“, tut die Leiterin der Siemens Recruitment-Abteilung kund. Darunter befänden sich sogar vakante Stellen aus dem Verkehrssektor. Letztere scheinen auf dieser ungewöhnlichen Jobbörse allerdings wenig gefragt.

Ob man hier die richtigen Mitarbeiter finden werde, kann Heinetzberger nicht sagen, dazu sei es noch zu früh. „Die Kandidaten sind etwas zaghaft“, bedauert sie, hofft aber, dass sie nach den geplanten Firmenpräsentationen auftauen. Wieso Siemens nicht aktiv auf interessante Leute zugehe?, fragt die Redaktion. „Eine derartige Veranstaltung ist auch für uns neu“, heißt es lakonisch. Normalerweise stelle man das Unternehmen auf Fachmessen oder an den Unis und HTLs vor. Dort kämen die Anwärter von sich aus zu den Ständen.

Die andere Seite der Macht sieht die Realität freilich mit anderen Augen: „Hier soll wohl der Alkoholkonsum zum Lockerwerden anregen.“ Der arbeitslose IT-Support-Mann wünscht sich mehr Unterstützung durch die Organisatoren. Kontakte knüpfen scheint hüben wie drüben schwer zu fallen. Vielleicht ist die ganze Sache ja auch nur ein neuer Marketing-Gag. „Wenn Sie ein Recruitment-Gespräch führen, bitte gleich nach vorne“, fordert PR-Lady Rubia die Siemens-Personalisten auf. „Der ORF wartet.“ Widerspruch duldet sie keinen, eine Antwort wartet sie auch nicht ab. „Ich werfe mich auf den Markt“, liefert eine attraktive, knapp 30-jährige Blondine auch einer Kurier-Journalistin einen werbewirksamen Grund für ihre Anwesenheit. Was die Kurier-Karriere-Redakteurin Daniela Davidovits allerdings nicht wissen konnte: Die zur Schau getragene Offenheit war auch nur ein Gag. Eva M. war nämlich Testperson der TOP 500. Auf ihrem Pink Slip stand „Projekt Management“ (PM). Mit diesem Profil geehrt, führte sie in exakt einer Stunde zwei ausführliche Bewerbungsgespräche. In der ersten Runde musste sie dazu nicht einmal etwas tun. „Ich stand im letzten Eck und habe telefoniert.“ Die zwei Herren, die auf sie zukamen, sagten nur: „Sie sind Projekt Manager? Wir suchen einen.“

„Hoffentlich auch eine“, lautete die charmante Einladung zur weiteren Konversation. Der weltweit 1.800-Mann-starke Konzern entwickle „Business-Lösungen für die Pharmaindustrie“, beschreiben die Manager den Unternehmenszweck. Genaueres konnte unsere Testperson nicht in Erfahrung bringen. Einerseits waren die Ausführungen der Beiden ein wenig diffus, andererseits übertönte Moderator Johannes Zeitelberger, der die potenziellen Arbeitgeber vorstellte, die Unterhaltung im kleinen Kreis. War das Erstgespräch nicht der eigentliche Sinn der Übung? Macht nichts. Unsere Testperson wird eingeladen, einmal vorbei zu kommen – die eifrig gezückte Visitkarte verrät wohin. Von ihr brauche man nichts weiter. Evas augenzwinkerndes Resümee: „Anscheinend ist Projekt Management sehr gefragt.“ Und ihr subjektiver Eindruck: „Frauen haben es hier scheinbar leichter.“

Die New Media-Agentur Nofrontiere hält ebenfalls Ausschau nach Projektverantwortlichen. Das zweite Gespräch verläuft allerdings professioneller. Welche Ausbildung haben Sie genossen? Womit sind Sie in ihrem jetzigen Job betraut? Sind Sie gewohnt, mit Technikern zu reden?, will PM Johannes Biemel von Eva wissen. Bewerbungsunterlagen solle sie direkt an ihn schicken. Im Gegenzug überreicht er eine zweiseitige Jobdescription und eine siebenseitige Firmenpräsentation. Eine Visitkarte verlangt auch er nicht. Webdesigner Gregor M. – auch in unserem Auftrag unterwegs – bestätigt, dass Kandidaten ohne Eigeninitiative kaum zum Ziel kämen. Er sprach die Human Resources-Verantwortliche von ai informatics an. Sie fragt nach seinen Skills und stellt das Unternehmen vor. Alles andere muss Gregor selbst herausfinden: „Wie werden die Projekte geleitet? Was genau tun ihre Webdesigner?“, erkundigt er sich. Sie sehe sich als Vermittlungsperson, lautet die Antwort. Man sei interessiert und Unterlagen solle er per E-Mail schicken. Was diese elektronische Post enthalten soll, nennt sie ihm auch.

Verkäufer im Trend

Wolfgang Hetlinger, EMC2-Area-Sales-Manager für Zentraleuropa, braucht keine Internet-Experten. Er hält Ausschau nach gu-ten Verkäufern: „Wir lechzen geradezu nach Nachwuchspotenzial im Sales und Presales-Bereich.“ Sie sollen den „zukunftsträchtigen Storage-Markt in Österreich, Ungarn und dem mittleren Osten vorantreiben“. Erfahrung im Vertrieb sei – ebenso wie Praxis im Controlling oder Consulting – eine der am meisten nachgefragten, bekundet auch die illustre Runde der Plaut-Personalberaterinnen.

„Die wenigsten sind hier arbeitslos. Die meisten Kandidaten kennen wir bereits“, sagt Plaut-Frau Lisa Hillebrand. Ihre Anwesenheit zeige, dass sie offen seien für neue Herausforderungen. „Toll wäre, wenn sie auf der Innenseite des Sakkos ihren Gehaltswunsch angebracht hätten“, ergänzt Michaela Priessnitz schmunzelnd. Das würde die Rekrutierung noch vereinfachen, denn in diesem Punkt ist scheinbar alles drin. „Die Gagen variieren nach der Persönlichkeit“, weiß ihre Kollegin Lydia J. Goutas. Priessnitz erzählt, dass erst gestern ein 30-jähriger Bewerber, der drei Vertriebs-Jobs hinter sich hat, eine Mio. Schilling Jahreseinkommen netto verlangt habe (60 Prozent fix, 40 Prozent Prämie). Und die Personalberaterin konnte ihm dies zusagen. Wie lange es gedauert hat, bis die Headhunter den frisch aus den Staaten angereisten IT-Sales-Profi Ramirez in der Menge entdeckten, hat die Redaktion nicht mehr verfolgt. Seine Aussichten stehen jedenfalls gut. Er war offen für Gespräche und strahlte jeden an, den er sah.
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